„Affenpossen“

Aus Engelbert Kaempfers

Geschichte und Beschreibung von Japan

Zwei Audienzen in Jedo [Edo], 29. März 1691 und 21. April 1692

Erstellt von Oliver Rost und Stefan Unterstein aus der angegebenen <Literatur>
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Copyleft ©|© 2002–2004 ff.  Oliver Rost, Dortmund; Stefan Unterstein, München.
Gesetzt aus/für Georgia & Verdana

[II. Band. Fünftes Buch. Zwölftes Kapitel.]

Beschreibung der Stadt und Schlosses Jedo. Einige Vorfälle daselbst. Unsere Audienz und Abschied.

[…]

Den 29. März, Donnerstags, also wurden die dem Kaiser zugedachten Geschenke in Begleitung der Deputirten von den Oberkommissarien und dem Tsino Cami nach Hof gebracht, und alda in dem großen Audienzsaal, wo sie der Kaiser in Augenschein nimt, nach der Ordnung, jedes Stück auf einem besondern spänernen Tischchen, nach der Gewohnheit, ausgelegt. Wir folgten in einem geringen Aufzuge, jeder mit einem seidnen schwarzen Mantel als mit einem Europäischen Ehrenkleide bedekt, nach. Drei Hausbediente der Nagasackischen Gouverneurs, nebst unserm Dosin oder Unterführer, zwei Nagasackischen Stadtboten und des Dolmetschers Sohn giengen mit uns zu Fuße, wir drei Holländer aber und der Unterdolmetscher ritten hinter einander her; ein Diener führte bei jedem Pferde zur rechten Seite, von welcher man es auch hier zu Lande besteigt, den Zaum. Ehedem hatte man es durch zwei zu beiden Seiten leiten lassen, aus welcher Pralerei man aber jezt nichts mehr macht. Hinter uns her kamen unser Resident oder Capitain in einem Norimon, und der alte Oberdolmetscher in einem Cangos getragen. Unsere Leibdiener folgten, so weit es ihnen erlaubt war, neben her. Nach einer viertel oder halben Stunde kamen wir zu der ersten mit Wal und Mauren befestigten Burg, und daselbst über eine große mit messingenen Knöpfen gezierte Brücke, unter welcher ein großer mit vielen Fahrzeugen belegter Strohm Nordwärts, wie es schien, um die Burg herabflos. Zwischen den beiden starken Pforten am Eingange befand sich eine kleine Wache, und auf dem ersten Burgplatze, so bald man die zweite Pforte passirt war, rechter Hand ein ansehnliches, mehr, wie mich dünkte, zum Prunk als zur Vertheidigung eingerichtetes Wachthaus, auswendig mit schönen Schanzkleidern, Büschen und Piken, inwendig mit verguldeten Schauben, lakirten Röhren-Piken-Schild-Bogen- und Pfeil-Futtern behangen und ausgepuzt. Die Soldaten saßen niederhockend in guter Ordnung, und hatten über ihren schwarz seidenen Kleidern zwei Säbel hangen. So bald wir also quer über diesen mit Landesherrlichen Häusern bebaueten Plaz gezogen, (wobei wir noch zur linken Hand einen vorbeifließenden breiten und befahrnen Strohm von weitem gewahr wurden (7)) gelangten wir in die zweite mit gleicher Festigkeit bewahrte Burg, deren Pforten und inwendige große Wachten nebst den Pallästen weit ansehnlicher <281> sich ausnehmen, als die vorigen. Unsere Körbe, Pferde und Diener blieben hierselbst zurük, und nun giengen wir mit unsern Führern quer über den Plaz nach dem Fon mar, oder der Kaiserlichen Residenz zu. Erst kamen wir über eine lange steinerne Brücke durch ein doppelt verschlossenes Bolwerk, darnach etwa 20 Schritte aufwärts durch eine krumme Gasse, die nach Beschaffenheit des Erdreichs zu beiden Seiten eine unglaubliche hohe Mauer umgab, bis an die zur linken Hand am Ende dieser Gasse unter der lezten Pforte der Residenz gelegene Fjak nin ban, d.i. die hundert Manswache genant, oder die große Schloswache, wo wir abwarten musten, bis man uns weiter aufforderte, das, wie man versicherte, so bald als der hohe Rath am Hof zusammen wäre, erfolgen solte. Zwei Hauptleute von dieser Wache empfiengen uns inzwischen sehr höflich, und sezten uns Thee und Tobak vor, die beiden Commissarien und Sino Cami kamen dazu, uns zu begrüßen, mehrerer anderer uns unbekanter neugieriger Hofkavaliers nicht zu gedenken. Nachdem denn die älteren und jüngeren Reichshofräthe innerhalb einer Stunde theils zu Fuße theils in Norimons vorbei ins Kaiserliche Schlos passirt waren, so wurden wir abgerufen und über einen viereckigten mit zwei prächtigen Pforten verschlossenen Plaz, und zwar zu Ende der einen einige steinerne Tritte hinauf in den eigentlichen Residenzplaz geführt, welcher von dort bis an die Fronte des Kaiserlichen Pallastes nur wenige Schritte breit, und mit Wachthabenden Soldaten wohl besezt, auch vol von Hofleuten und Pagen war. Man trat noch etwa zwei Treppen hinauf in den Pallast und am Eingange zur rechten Hand in die nächste Kammer als den gewöhnlichen Wartsaal für die, so vor den Kaiser oder die Reichsräthe zur Audienz gelassen werden sollen. Es war derselbe mit verguldeten Pfeilern, Wänden und Schauben prächtig ausgepuzt, auch ziemlich hoch, nach geschlossenen Schauben aber sehr finster, indem alsdenn durch das obere Gegitter einer zur rechten Hand daran stoßenden Meubleskammer nur ein kleines Licht hereinfiel. Als wir hier über eine gute Stunde gesessen, während dem sich der Kaiser auf seinem gewöhnlichen Sitze eingefunden hatte, holten beide Commissarien und Sino Cami unsern Residenten oder Capitain ab, und führten ihn zu dem Audienzsaal, ließen uns aber zurük; kaum daß er hineingetreten seyn mochte, gab eine überlaute Stimme mit Hollanda Capitain das Zeichen, daß er sich nähern und seine Ehrerbietung ablegen solte, worauf er zwischen dem Orte, wo die Geschenke nach der Ordnung lagen, und dem hohen Sizplatze der Kaiserlichen Majestät, so weit man ihm es anwies, auf Händen und Füßen herbeikroch, das Haupt, auf dem Knie liegend, bis zum Boden neigte, und sich ganz stillschweigend eben so und wie ein Krebs wiederum kriechend zurükzog. Hierinnen bestehet die ganze kurze Ceremonie bei der mit so vielen Umständen zubereiteten Audienz. Mit der, welche jährlich die großen Landesherren haben, gehet es nicht anders zu, ihre Namen werden ebenfals abgerufen, sie bezeugen sodann ihren demüthigen und gehorsamen Respekt, und kriechen rüklings wieder davon. <282>

Der Audienzsaal ist bei weitem nicht eingerichtet, wie ihn Montanus nach seiner eigenen Einbildung vorstellet. Man siehet hier keinen erhabenen Thron, keine zu demselben aufgehende Stiegen, abhangende Teppiche oder prächtige Säulen, worauf der Thron, der Saal oder das Gebäude ruhen solte. Es ist wahr, in der That ist dennoch alles schön und kostbar genug, aber von keiner andern Beschaffenheit, als es mein Ris mit sich bringt, den ich im folgenden Jahre, als uns der Nagasackische Gouverneur nach der Audienz zum Besehen ein wenig herumführte, in der Eile zu machen Gelegenheit nahm, das zumal nach Ueberzählung der Matten, Schauben und Pfosten sich gar leicht thun lies. Es ist aber dieser mit hundert Matten belegte Audienzsaal an einer Seite gegen einen kleinen Hof hin offen, und empfängt von daher sein Licht; an die Seite gegen über schließen sich zwei nach gedachtem Hof hin offene Kammern an, deren erstere ziemlich weit ist, und zum Siz der Reichsräthe dient, wenn sie kleineren Landesherren, Residenten und Abgesandten Gehör geben, die andern oder leztern aber enger, tiefer und mit einem Trit höher als der Saal selbst ausfält. Eben hier, am Ende der Kammer, ist es, wo der Kaiser auf einem mit wenigen Matten erhabenen Fusboden mit unter den Leib geschlagenen Beinen sizt, und da seine Gestalt nicht wohl zu erkennen ist, theils weil das volle Licht bis dahin nicht reicht, theils auch, weil es mit der Audienz zu geschwinde hergehet, und man mit niedergebüktem Haupte erscheinen und wieder abziehen mus, ohne sein Gesicht zur Betrachtung der Kaiserlichen Majestät erheben zu dürfen. Die stille Gegenwart der Reichsräthe, Fürstlichen Prinzen, Cammerherrn und anderer hohen Hofbedienten, womit die Seiten des Saals und die Gallerien nach der Ordnung besezt sind, geben indes der Audienz kein geringes Ansehen.

Vormals war es hinreichend, wenn der Capitain bei der Audienz allein erschien, da er denn nach wenigen Tagen, und wenn er die ihm vorgelesene Gesetze angehört, und im Namen der Holländischen Nation zu halten versprochen, von den Reichsräthen wieder nach Nagasacki abgelassen wurde; jezt aber und seit 20 Jahren hat man angefangen, die in der Gesandtschaft überkommenen Holländer nach der ersten Audienz tiefer in den Pallast einzuführen, und sie der Kaiserin, den dazu eingeladenen Prinzessinnen vom Geblüt und den übrigen Hofdamen zum Vergnügen und Betrachtung vorzustellen, wobei der Kaiser nebst dem Frauenzimmer hinter Jalousiematten verdekt, die Reichsräthe und übrige bei einer Audienz verordnete hohe Bediente aber öffentlich zugegen sitzen.

So wie demnach unser Capitain seinen ehrerbietigen Respekt abgelegt, und der Kaiser sich in sein Cabinet verfügt hatte, wurden wir drei Holländer auch hierbei gerufen, und samt unserm Capitain durch verschiedene Gemächer in eine aus künstlichem Schnizwerk bestehende und fürtrefflich verguldete Gallerie, und von da, nachdem wir uns eine Viertelstunde verweilt, wieder durch andere Gänge in einen Saal geführt, wo man uns zum Sitzen <Tab. XXXI., Tab. XXXII.> nöthigte. <283> Verschiedene der geschornen Hofleute (diese sind nämlich die Tempelherren, Aerzte, auch Tafel- und Küchenbediente) kamen alsbald bei uns, und thaten Fragen nach unserm Namen, Alter und andern Kleinigkeiten, die vorgezogenen vergoldeten Schirmwände aber befreieten uns kurz darauf von ihnen und dem ganzen vorbeigehenden Hofschwarm. Nach einer halben Stunde, während dem sich der Hof in den Kammern, aus welchen wir solten beschauet werden, eingefunden, brachte man uns durch einige finstere Gänge dahin. Diese Gänge waren mit einer einfachen Reihe auf den Knien niedergebükter Kaiserlicher Leibwächter und andern sich an diese in der Ordnung schließenden Hofbedienten in ihren Staatsuniformen durchaus bis an den Schauplaz, wo wir nemlich vorgestelt wurden, besezt; dieser Plaz aber, der in dem Abrisse zu sehen, machte verschiedene gegen einen Mittelort, theils offene theils mit Jalousiematten geschlossene Kammern aus, deren jede 15 Matten weit und nach dem Range der darinnen sitzenden Personen die eine einer Matte dik höher als die andere war. Den so eben gedachten Mittelraum, der mit gefirnisseten Brettern belegt, von Matten entblößet, und daher der niedrigste war, wies man uns zum Sitzen an. Hinter der Jalousiematte, nicht weit von uns zur rechten Hand, sas der Kaiser mit seiner Gemahlin, deren Gesicht ich ein paarmal, während ich auf Kaiserlichen Befehl etwas tanzte (8), als sich die Matte mit einer kleinen Oefnung beugte, erblicken, und eine bräunliche runde schöne Gestalt mit Europäischen schwarzen Augen, voller Feuer und Leben, an ihr wahrnehmen, auch nach Verhältnis ihres Kopfs eine große Statur und ein etwa 36jähriges Alter muthmaßen konte.

Wenn ich von Jalousiematten rede, so verstehe ich darunter von gespaltenen feinen Rohrstökchen gemachte Hangedecken, die ohngefähr einer Spannelang von einander einen seidenen Durchschlag haben, und sowol zur Zierde als desto mehrerer Blendung mit Figuren bemalt sind, wie man denn von außen her nichts dahinter sehen kann, fürnemlich wenn daselbst kein Licht ist (9); weshalb wir auch die Gegenwart des Kaisers nur an seiner Rede erkanten, die er überdies so leise einrichtete, als wenn er gar nicht entdekt seyn wolte. Auf eine vier Matten Länge vor uns, ebenfals hinter den Hangedecken, befanden sich die eingeladenen Prinzessinnen (10) von Kaiserlichem Geblüte und die übrigen Hofdamen; zwischen den Fugen und Ritzen dieser Matten waren Papiere gestekt, die sie zu einer freieren Durchsicht zuweilen öfneten: ich zählte solcher Papiere über 30 Stük, und vermuthete daher die Zahl eben so vieler anwesenden <284> Personen. Diesseits der besagten Hangematten neben der Seite, wo man die Stimme des Kaisers hörte, in einer besondern Kammer, sas Bengo auf einem erhöheten Fusboden vor uns, und zur Linken wiederum auf einem besondern Kammerboden die Ober- und Unterreichsräthe nach ihrem Range in einer doppelten Reihe. Hinter uns war die Gallerie vorhin erwähnter maßen mit den Kammerherren und den übrigen hohen Hofbedienten, der Eingang der Kaiserlichen Kammer vor und hinter der Schirmwand aber mit übereinander hervorguckenden Fürstlichen Prinzen, Pagen und Hofpfaffen besezt. Dies mag von der äußerlichen Gestalt und Beschaffenheit unserer Schaubühne genug seyn, ich wil nun zur Beschreibung der Rolle, welche wir hier gespielt haben, übergehen.

Als wir von den Kommissarien bis vor die Gallerie geleitet waren, empfieng uns ein Unterreichsrath, und führte uns auf den vorhin beschriebenen Mittelplaz. Jeder von uns muste alsbald gegen die Seite, wo sich der Kaiser aufhielt, und die man uns anwies, seine Respektsbezeugung auf Japanische Manier, mit bis zur Erde gebüktem Haupte herzukriechend, ablegen, worauf uns Bengo auf Befehl des Kaisers durch den Dolmetscher wilkommen hies, der sich inzwischen zur besseren Vernehmung der Rede näher herbei gemacht, und uns andern zur Seite in einer Reihe hatte. Unser Capitain stattete nun im Namen seiner Herren ein unterthänigstes Compliment und Danksagung für die Gnade ab, daß ihnen der freie Handel in Japan bisher vergönnet gewesen. Der Dolmetscher wiederholte solches mit auf der Erde niederliegendem Gesichte in Japanischer Sprache, so, daß es der Kaiser hören konte, dessen Antworten und Reden Bengo aus seinem, und unser Dolmetscher wieder aus dieses Munde annehmen muste, der sie an uns Holländer sodann erst wieder sagte, anstat, daß er den Bengo seiner Mühe hätte überheben, und sie alsbald gerade vom Kaiser selbst auf uns bringen können; ich glaube aber, daß dies darum geschiehet, weil man vielleicht die Worte, so warm sie aus des Kaisers Munde fließen, zu heilig und majestätisch hält, um sogleich von Personen niedern Ranges wiederholt zu werden. Diese erste Scene verwandelte sich nun weiter in ein wahres Possenspiel. Zuerst kamen noch mancherlei läppische Fragen, und zwar an einen jeden insbesondere, wie alt er, und wie sein Name sey? das jeder, weil man ein Europäisches Schreibzeug bei sich hatte, aufzeichnen, und dem Bengo hinreichen muste, welcher den Zettel nebst dem Schreibzeuge dem Kaiser unter der Decke hin einhändigte. Unser Capitain wurde gefragt: wie weit Holland von Batavia? Batavia von Nagasacki? ob der General auf Batavia oder der Prinz in Holland mächtiger sey? und ich: welche innerliche und äußerliche Gebrechen ich für die schweresten und gefährlichsten hielte? wie ich mit den Krebsschäden und innerlichen Geschwüren zu Werk gienge? ob ich nicht auch, wie die Sinesischen Aerzte seit vielen Jahrhunderten gethan, einem Mittel zum langen Leben nachgespürt, oder ob nicht andere Europäische Aerzte bereits eins ausgefunden? Ich antwortete, daß unsere Aerzte noch <285> täglich studirten, das Geheimnis zu entdecken, wie der Mensch seine Gesundheit bis zu einem hohen Alter erhalten möchte. Man fragte weiter: welches denn fürs beste dazu gehalten würde? Antwort: das lezte sey allezeit das beste, bis die Erfahrung ein anderes lehre. Frage: welches denn das leztere? Antwort: ein gewisser Spiritus, der bei mäßigem Gebrauche die Feuchtigkeiten flüssig erhalte, und die Lebensgeister aufmuntere und stärke. Frage: wie selbiger genant werde? Antwort: sal volatile oleosum Sylvii. Da ich wuste, daß alles, was bei den Japanern Achtung erwerben sol, einen langen Namen und Titel haben mus, so erwählte ich diese Benennung um so eher, die ich auch etliche mal nach einander wiederholen muste, indem man sie hinter der Matte nachschrieb. Frage: wo er denn zu bekommen, und wer ihn erfunden? Antwort: in Holland der Professor Sylvius. Frage: ob ich ihn auch zu machen wüste? Hier befahl mir unser Herr Capitain mit einem Winke, Nein zu sagen; ich antwortete aber: o ja, aber nicht hier. Frage: ob er auf Batavia zu bekommen? Antwort: ja! womit denn der Kaiser verlangte, daß mit den nächsten Schiffen eine Probe überschikt werden solte, die auch unter dem Namen im folgenden Jahre würklich überkommen ist, in der That aber nichts anders war, als ein unlieblicher Spiritus Salis Ammoniaci mit Gewürznelken abgezogen (11). Gleichwie nun der Kaiser anfänglich gegen uns über bei dem Frauenzimmer weiter von uns gesessen, so veränderte er jezt seinen Plaz, und sezte sich zur Seite hinter der Hangematten näher zu uns, und hies uns unsere Mäntel oder Ehrenkleider ablegen und aufrecht sitzen, damit er uns besser ins Gesicht sehen könne. Dieses war es aber nicht allein, was der Kaiser verlangte, sondern wir musten uns gefallen lassen, ordentliche Affenpossen auszuüben, die mir nicht einmal alle mehr erinnerlich sind; bald musten wir nämlich aufstehen und hin und her spatzieren, bald uns unter einander komplimentiren, dann tanzen, springen, einen betrunkenen Man vorstellen, Japanisch stammeln, malen, Holländisch und Deutsch lesen, singen, die Mäntel bald um- und wieder wegthun, u.d.gl., ich an meinem Theile stimte hiebei eine Deutsche Liebesarie an (12). Unser Capitain blieb jedoch von diesen Sprüngen verschont, <286> weil man gleichwol darauf dachte, daß das Ansehen unserer Oberherren in seiner Person ungekränkt bleiben muste; wie er sich denn auch wegen seines ernsthaften und empfindlichen Gemüths außerdem gar schlecht dazu geschikt haben würde. Nachdem wir denn solchermaßen in die zwei Stunden lang, obwol unter beständig sehr freundlichem Ansinnen, zur Schau gedient hatten, wurde jedem von geschornen Dienern ein kleiner Tisch mit Japanischen Anbissen, dabei stat der Messer und Gabel ein paar Stökchen lagen, vorgesezt. Es war wenig, was wir davon aßen. Das übrig gebliebene muste der alte Dolmetscher vor sich mit beiden Armen davon tragen, ob er gleich kaum die Macht hatte, sich selbst auf seinen Füßen fortzubringen. Man hies uns darauf die Mäntel anlegen und Abschied nehmen, dem wir denn auch ohnverzüglich nachkamen, und hiemit unsern zweiten Auftrit beschlossen. Unsere Führer begleiteten uns wiederum in den Wartsaal, woselbst sie uns verließen.

Es war schon drei Uhr Nachmittags, und wir hatten für heute noch den Ober- und Unterreichsräthen, so wie sie oben, unterm 25 März, benent worden, mit den Geschenken unsere Aufwartung zu machen. Wir verließen also den Kaiserlichen Pallast, grüßeten im Vorbeigehen die Hauptleute in dem großen Wachtsaale, und sezten unsern Gang zu Fuße fort. Die Geschenke waren bereits vor uns her nach eines jeden Wohnung von den Schreibern abgetragen, und vermuthlich in eine besondere Kammer gesezt worden, weil <287> wir nichts davon wahrnahmen. Es bestanden selbige in einigen Stücken Sinesischer, Bengalischer und anderer seidenen Stoffe, auch Leinwand, schwarzer Sarsche, einigen Ellen schwarzen Tuchs, Ginguans, Pelangs und einer Flasche Tintowein. Bei den Haushofmeistern und Sekretärs wurden wir überal wohl empfangen und mit gemahlnem Thee, Tobak und Konfitüren, so wie es die Kürze der Zeit mit sich brachte, bewirthet. Hinter den Hangematten und Schauben in den Kammern, in die man uns hineinführte, war es voller Zuschauer weiblichen Geschlechts, die es aus Neugierde gar gern gesehen, wenn wir ihnen von den spashaften Cerimonien auch etwas vorgemacht hätten, das ihnen aber fehlschlug, außer in der Wohnung des Bengo (der sich inmittelst von hinten her hatte nach Haus tragen lassen) und des jüngsten Reichsraths in der Nordwärts liegenden Burg; bei jenem warteten wir mit einem kleinen Tanz und bei diesem ein jeder von uns mit einem Liedchen auf. Hiernächst bestiegen wir unsere Tragkörbe und Pferde, und kamen durch eine Pforte nach Norden aus dieser Burg über einen fremden Weg, der zur linken Hand große starke Wälle und Graben hatte, mit der Sonnen Untergang in unsere Herberge.

[…]

Anmerkungen in Kap. 12

(7) Fehlt in der Engl. Uebers.

(8) Die Handschrift des Oheims und die Engl. Uebers. erwähnen dieses Tanzens des Verfassers, aber nicht die Handschrift des Neffen.

(9) Und doch sahe Kämpfer so vieles an der hinter diesen Matten vorborgnen Kaiserin, und konte sogar ihr Alter muthmaßen. Ich gestehe, daß mir seine Erzählung hier etwas widersprechend scheint.

(10) Die Engl. Uebers. sezt Prinzen, welches ohne Zweifel ein Irrthum ist.

(11) Ist bei Scheuchzern und in der Handschrift des Oheims ausgelassen.

(12) Um meinen Handschriften auch hier treu zu bleiben, so setze ich das Lied, das Kämpfer abgesungen und in seinen beiden Mnspten mitgetheilt, Scheuchzer aber weggelassen hat, so, wie ich es finde, hieher:

1. Ich gedenke meiner Pflicht,
An dem Aeßersten der Erden,
Schönste, die mir nicht kan werden,
Liebste, die mein Herze bricht,
Der ich einen Eid geschworen
Sonder Arg und ohne Scheu
Bei dem Licht, da ich geboren,
Zu verbleiben ewig treu.

2. Ja, was sag ich, Pflicht und Schuld?
Was Verbrechen und Beloben?
Deine Schönheit, die von oben
Dir vergönt der Götter Huld,
Deine Tugend, die man findet,
Nirgend in der ganzen Welt
Ist die Kette, die mich bindet,
Ist der Kerker, der mich hält.

3. Ach zu meiner harten Zucht
Hab ich armer mich vermessen,
Deiner, Engel! zu vergessen,
Durch so weite wüste Flucht.
Taur und Caucas, Türk und Heiden
Noch der Ind- und Gangesfluth
Können mich von dir nicht scheiden,
Nicht vermindern meine Gluth.

4. Großer Kaiser, Himmels Sohn,
Herrscher dieser fernen Landen,
Reich von Gold und stark von Handen,
Ich betheur bei deinem Thron,
Daß ich alle diese Strahlen
Deines Reichthums, deiner Pracht,
Deiner Dames, die sich mahlen,
Nichts vor meinem Engel acht.

5. Weg du Hof der Eitelkeit.
Weg du Land mit so viel Schätzen.
Zeitlich kan mich nichts ergötzen,
Als die keusche Lieblichkeit
Meiner edlen Florimenen,
Meiner einzigen Begier,
Die wir uns so herzlich sehnen,
Sie nach mich und ich nach ihr.

[II. Band. Fünftes Buch. Vierzehntes Kapitel.]

Von der zweiten Reise nach Hofe.

[…]

Den 21 (10) April also, ohnerachtet der Regen seit zwei Tagen bis jezt stark anhielt, konten wir nicht umhin, des Morgens um acht Uhr zu Pferde zu seyn. Wir ritten in Geselschaft der Bugjosen von den dreien Gouverneurs bis vor das zweite Kastel, und passirten durch dasselbe bis in die Hauptwache des dritten Kastels, woselbst der Sjubo Sama unserer bereits wahrnahm. Nachdem wir alda bis halb 11 Uhr gewartet, während dem sich die Reichsräthe eingefunden, und wir auch unsere nassen Strümpfe und Schuhe abgewechselt, verfügten wir uns in den Pallast selbst. Es war 12 Uhr, als unser Capitain für seine Person die Geschenke vor den Kaiserlichen Thron legen konte, worauf er alsbald in dem Wartesaale wieder bei uns eintraf. Der Sjubo Sama forderte uns hierauf gemeinschaftlich zur Audienz ab, und brachte uns zur linken Hand um den Saal, wo die Geschenke ausgelegt waren, und neben der Kammer vorbei, wo der einige Matten erhabene Thron des Kaisers sich befand, durch andere prächtige oben mit verguldeten Leisten gezierte Gänge, <347> bis zu einem langen Vorgemach gleich bei dem Audienzsaal. Außer den Commissarien und andern Vornehmen des Hofes, die umher spazierten, saßen alhier noch etwa 10 oder 12 Cavaliers. Damit uns bei dem langen Warten das viele Sitzen nicht ermüden möchte, führte man uns in einen andern Gang zurük, wo wir uns nach Gefallen die Zeit vetreiben könten, zu dem Ende man uns auch die Aussicht in einem nahe gelegenen Garten öfnete. Während unsers Aufenthalts hieselbst fanden sich viele junge Herrn von Stande ein, um uns zu sehen und zu begrüßen, das auf die freundlichste Weise geschah: die Commissarien gaben uns zur Besichtigung einen goldenen Ring, worin ein Magnet mit 12 Japanischen Jetto (oder mit den 12 himlischen Zeichen) gefasset war: ein Europäisches Wapen u.d.gl. mehr. Eben als wir im Begriff waren, ihnen auf Verlangen eine Erklärung von den Sachen zu machen, wurden wir zum Kaiser gerufen. Durch den Gang zur linken Hand, alwo 18 Kammerwächter mit ihren gewöhnlichen Kleidern über den Ehrenröcken angethan saßen, sodann noch eine Reihe von 20 Hofkavaliers vorbei, erreichten wir den Kaiserlichen Audienzsaal. Zur Linken saßen sechs Reichsräthe, zur Rechten in einem Gange einige geheime Kammerherren, diesen zur Rechten zwei Damen und der Kaiser hinter der Gittermatte, und davor der oberste Reichsrath Bingo Sama; dieser hies uns im Namen des Kaisers wilkommen, aufrecht sitzen, die Mäntel ablegen, unsere Namen und Alter sagen, aufstehen und hin und hergehen, drehen und wenden, tanzen, und mir besonders, ein Lied singen; uns einander komplimentiren, bestrafen, erzürnen, zu Gaste nöthigen und ein Gespräch halten. Dann musten wir Personen zweier vertrauten Freunde, als Vaters und Sohns, zweier Abschied von einander nehmender, und ankommender oder sich begegnender Freunde, auch den Abschied eines Mannes von seiner Frau vorstellen, nachäffen, wie man Kinder verzärtelt und auf den Armen trägt: neben dem that man allerhand Fragen an uns, an mich nämlich, was für eine Profession ich triebe, unter andern auch: ob ich wol schwere Krankheiten jemals kurirt hätte? worauf ich antwortete: in Nagasacki, wo wir den Gefangenen gleich gehalten würden, nicht, wohl aber außerhalb Japan. So fragte man weiter nach unsern Häusern, ob unsere Sitten verschieden wären? Antwort: ja; wie wir es mit unsern Begräbnissen hielten? Antwort: daß wir weiter keinen Tag, als den, wo die Leiche zu Grabe getragen würde, begiengen. Was unser Prinz für einen Rang habe, ob der Generalgouverneur auf Batavia geringer sey und unter ihm stünde, oder ob dieser allein regiere? ob wir keine Gebäter und Götzen hätten, wie die Portugiesen? Antwort: nein; ob es in Holland und andern Europäischen Landen auch Donner und Erdbeben gäbe, ob der Donner Häuser anzünde und Menschen tödte? Wir musten unsere Antworten gleichsam lesend geben: ich muste Namen von vielen Heilpflastern daher nennen, auch noch einmal besonders darnach gemeinschaftlich tanzen, unterdessen der Capitain wegen seiner Kinder und ihrer Namen, auch wie weit Holland von Nagasacki sey, gefragt wurde. Der Kaiser <348> lies zu gleicher Zeit linker Hand die Schauben aufmachen, um frische Luft hereinzulassen. Nun musten wir unsere Hüte aufsetzen, auch die Perücken abnehmen, und unter einem Gespräch bei einer viertel Stunde lang hin und her spazieren. Als ich die Gemahlin des Kaisers, welche schön war, zu einigen malen erblikt hatte, sagte der Kaiser auf Japanisch, daß wir ihren eigentlichen Sizplaz wissen müsten, weil wir so scharf dahin sähen, und begab sich alsobald darauf zu den andern gegen uns über versamleten Frauenzimmern. Man lies mich von der Matte nochmals etwas näher hinzukommen, die Perücke wieder abnehmen, sodann springen und uns zusammen tanzen, spazieren, auch den Capitain und mich errathen, wie alt der Bingo sey? Der Capitain sagte 50, ich 45, worüber ein Gelächter entstand. Ferner musten wir den Umgang eines Mannes mit seiner Frau vorstellig machen, worüber es bei dem Frauenzimmer wegen des dabei vorfallenden Kusses nicht wenig zu lachen gab, hierauf abermals umher springen, und endlich zeigen, wie die Europäischen Ehrenbezeigungen sowol gegen Geringe als Vornehme beiderlei Geschlechts, auch selbst gegen einen König abgelegt werden. Von mir verlangte man noch, ein Lied zu hören, ich sang also deren zwei mit einem algemeinen Beifal, den nur die Kunst erwarten kan, ab; und damit musten wir die Mäntel ablegen, einer nach dem andern uns nähern, und auf das lebhafteste, wie vor einem König in Europa, Abschied nehmen, worauf, und nachdem wir auf aller Gesichter ein Vergnügen und Zufriedenheit wahrnahmen, die Erlaubnis uns wegzubegeben gegeben wurde. Es war bereits vier Uhr, und wir hatten uns in die drittehalb Stunden aufgehalten. Wir empfahlen uns bei den Kommissarien und dem Sjube, wurden von zweien so wie vorhin ein- also jezt abgeführt, und verfügten uns nun in das Haus des Bingo, alwo wir sehr wohl traktirt wurden. Mit dem Untergang der Sonnen kamen wir endlich wieder nach Hause.

[…]

Anmerkungen in Kap. 14

(10) Aus Versehn hat Scheuchzer wieder den 20sten.

Literatur

Engelbert Kaempfer (1651–1716):  [gbj]
Geschichte und Beschreibung von Japan.
Aus den Originalhandschriften des Verfassers herausgegeben von Christian Wilhelm Dohm (1751–1820). Unveränderter Neudruck des 1777–1779 im Verlag der Meyerschen Buchhandlung in Lemgo erschienenen Originalwerks. Mit einer Einführung von Hanno Beck. Stuttgart : F.A. Brockhaus Antiquarium 1964 (2 Bde., VII, LXVIII, 310 S., 478 S., m. 45 tls. gefalt. Tafeln).
vorliegender Text:   Bd. II, Bch. 5, Kap. 12+14

Links: Forum & eText (Auszüge)

Engelbert Kaempfer:
externer Link Geschichte und Beschreibung von Japan. (1677–79)
Internet-Edition by Wolfgang Michel. — In: externer Link Engelbert-Kaempfer-Forum, Kyushu University, 1999.
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