Dejima

Japan und Europa 1543–1929
Dejima und die Handelsbeziehungen zwischen den Niederlanden und dem vormodernen Japan

Von Ken Vos

Berlin, 1993

Erstellt von Oliver Rost und Stefan Unterstein aus der angegebenen <Literatur>
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Copyleft ©|© 2002–2004 ff.  Oliver Rost, Dortmund; Stefan Unterstein, München.
Gesetzt aus/für Georgia & Verdana

Inhalt

Einleitung

Obwohl die Holländer im Vergleich zu den iberischen Königreichen vergleichsweise spät nach Ostasien kamen, hatten sie zu Beginn ähnliche Absichten wie die anderen. Als im Jahre 1600 die ersten Holländer in Japan an Land gingen, hatten die Japaner schon fast 50 Jahre lang Erfahrungen mit eindringenden Europäern gemacht. Die Holländer waren gerade dabei, in ihr Goldenes Zeitalter einzutreten, das auf dem Gewinn aus einem aggressiven überseeischen Merkantilismus beruhte. Die holländische Vorgehensweise war pragmatisch; missionarischer Eifer wurde für die guten Handelsbeziehungen für abträglich gehalten. Politische Vorherrschaft sah man nicht als eine Voraussetzung für Profit an. Die Expansion des holländischen und englischen Handels auf Kosten des spanischen und portugiesischen Ostasienmonopols fiel mit der Umstrukturierung der heimischen Politik und Wirtschaft zusammen. Die protestantischen holländischen Nationalisten befanden sich im Krieg mit den spanischen, römisch-katholischen Besatzern ihres Landes. Neugewonnenes Selbstbewußtsein und der Wille zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit stimulierte die Suche nach neuen Märkten und nach Edelmetallen, Gewürzen und Handwerksprodukten wie zum Beispiel Textilien. Ebenso wie die Holländer als Antiklerikale, das heißt Antikatholiken, der japanischen Regierung willkommen waren, so waren sie – zusammen mit den Briten – auch willkommene Konkurrenten auf den fremden Märkten. Nachdem England, die einzige konkurrierende nichtkatholische Nation, seine enttäuschend unrentable Siedlung auf Hirado nach einer Anwesenheit von nur zehn Jahren (1613 bis 1623) aufgegeben hatte, gelang des den Holländern, die einzigen europäischen Handelspartner Japans bis zur erzwungenen Öffnung des Landes durch die „Schwarzen Schiffe“ unter Kommandant Matthew Galbraith Perry im Jahre 1854 zu werden.

Obwohl für den größten Teil dieser Periode der Handel für beide Seiten nicht besonders lohnend war, wurde niemals an der politischen – und später auch kulturellen – Bedeutung der holländischen Präsenz gezweifelt. Die Geschichte der japanisch-holländischen Handelsbeziehungen in der Tokugawa-Zeit zeichnet sich, trotz mancherlei Veränderungen, durch große Beständigkeit aus. Diese Veränderungen konnten einerseits jeweils durch Änderungen der japanischen Politik verursacht sein, andererseits, und dies war sogar öfter der Fall, durch eine andere Gewichtung in der Handelspolitik der VOC (Vereenigde Oost-Indische Compagnie). Es können ungefähr vier Perioden unterschieden werden: Die frühe Periode, als die Holländer mit anderen Nationen um Handelsprivilegien konkurrierten; die frühe, mittlere Periode, als die VOC sich als der einzige nichteuropäische Handelspartner etablierte und der Handel zunahm; die späte, mittlere Periode, als die Handelsbeziehungen aufgrund des schwindenden Handelsvolumens im Abnehmen begriffen waren; und schließlich die späte Periode nach der Auflösung der VOC im Jahre 1795, als die Beziehungen zu dem Japan der Tokugawa-Zeit in die Zuständigkeit der Regierung von Ostindien mit Sitz in Batavia fiel. Von 1824 an war dann die auf Betreiben von König Willem I. ins Leben gerufene „Nederlandsche Handel-Maatschappij“ (NHM: Niederländische Handelsgesellschaft) für den Handel mit Japan zuständig, den sie bis 1859, als Japan normale offizielle diplomatische Beziehungen mit der Außenwelt aufnahm, weiterführte.

Frühe Handelskontakte und Hirado

Die Vereenigde Oost-Indische Compagnie wurde 1602 mit dem Ziel gegründet, die Aktivitäten der holländischen Gesellschaften in Ost- und Südostasien zu stärken. Sie war eine Handelsmonopolgesellschaft in dieser Region und zu diesem Zweck auch mit politischen Aufgaben beauftragt. Die Gesellschaft verfügte über eine Reihe von angestammten Hoheitsrechten, von denen das wichtigste in dem Recht bestand, im Namen der Generalstaaten, der regierenden Körperschaft der damaligen sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande, Verträge mit fremden Mächten – zu denen auch Japan gehörte – abzuschließen.

Die ersten beiden Schiffe mit einem Auftrag nach Japan gingen 1609 in der Nähe von Hirado, einer Insel vor der Küste Kyūshū, wo die Portugiesen ihre Handelsstation unterhielten, vor Anker. Dies aber erst, nachdem 1600 schon ein von einer privaten Gesellschaft gemietetes Schiff, De Liefde (Die Liebe), auf der Suche nach jenen berühmten Inseln, woher, wie man glaubte, die Portugiesen ihr Gold bezogen, Japan erreicht hatte. Es war eines von vier Schiffen unter dem Kommando von Mahu und De Cordes, die über die Magelhanstraße nach Asien abgesegelt waren; die anderen drei Schiffe erreichten Japan nicht. Die Überlebenden der De Liefde sollen danach in Japan gelebt haben. Unter diesen befand sich der britische Lotse, William Adams, der das Vertrauen des Shōgun gewonnen hatte, so daß die Mitglieder der Mannschaft, zuerst als Piraten eingesperrt, die Erlaubnis erhielten, in Japan zu bleiben und dort als Händler tätig zu sein. Zwei von ihnen, Melchior van Santvoort und Jan Joosten van Lodenstein, betätigten sich später im Handel mit Siam und Indochina. Als die ersten zwei Schiffe der VOC, De Roode Leeuw met Pijlen (Der rote Löwe mit Pfeilen) und De Griffioen (Der Greif) ankamen, wurde der Vertreter der Händler, Jacques Specx, von Melchior van Santvoort, den Behörden von Nagasaki vorgestellt. Mit den beiden reisten auch Nicolaas Puyck und Abraham van den Broeck zum Hof des Shōgun in Edo. Ieyasu, der erste Tokugawa-Shōgun stellte ihnen eine Genehmigung für den freien Handel aus, und die Holländer erhielten die Erlaubnis, eine Handelsniederlassung auf der Insel Hirado vor der Küste von Kyūshū zu gründen. Die Aufsicht wurde Specx übertragen, der vier Mann unter sich hatte.

Den Holländern gelang es nicht, bedeutende Handelsaktivitäten zu entfalten; bis 1611 kamen nur zwei Schiffe an. Die Japaner waren an chinesischen Produkten wie Seide, Rotwildfellen und Sappanhölzern zum Färben interessiert, was die Holländer nicht ohne weiteres liefern konnten, da sie keine direkten Handelsbeziehungen mit China hatten. Die einzigen Waren, an denen Bedarf bestand, waren Stoffe aus Indien und den Niederlanden sowie Elfenbein und Gewürze.

Allmählich verbesserte sich die Lage. Eine wichtige Veränderung trat ein, als es den Holländern 1624 gelang, sich eine sichere Ausgangsposition in Formosa (heute Taiwan) zu schaffen, wo der lokale Handel für einen regelmäßigen Nachschub der Waren aus China und Indochina zu sorge vermochte. Sie behielten die Kontrolle über Formosa bis 1661. Damit konnten sie in Konkurrenz zu portugiesischen und japanischen Händlern treten. Allerdings hatten sie zeitweise Mühe, mit den japanischen Behörden gute Beziehungen aufrechtzuerhalten, da die Portugiesen alles taten, sie zu diskreditieren, und auch ihre Beziehungen mit den japanischen Händlern auf Formosa waren nicht immer die besten. Mittlerweile wurde die japanische Regierung der Gefahren gewahr, die der Einheit des Landes durch das Christentum drohten. Zuerst waren den Jesuitenmissionaren, die mit den portugiesischen Händlern gekommen waren, große Freiheiten zugestanden worden, bisweilen erhielten sie auch noch Unterstützung; einige Feudalherren () aus Kyūshū konvertierten sogar. Die Ankunft weiterer Orden weckte jedoch das Mißtrauen der Shōgunats-Regierung. Ieyasu verbot 1614 erstmals das Christentum, die darauffolgenden Jahre geschah jedoch wenig. Von 1622 an wurden dann Christen und Missionare blutig verfolgt. Die Holländer, Angehörige eines Landes, welches gegen das katholische Spanien kämpfte, waren in diesen Dingen sehr zurückhaltend. Sie gingen von Anfang an auf Distanz zu den Missionaren und hielten Religion und Handel stets auseinander. Die japanischen Behörden waren schließlich davon überzeugt, daß die Holländer, obwohl sie Christen waren, als Angehörige einer Nation, die gegen die spanische Herrschaft kämpfte, kein Interesse an der Bekehrung von Japanern hatten. Nachdem den Spaniern von 1624 an die Handelserlaubnis mit Japan verweigert worden war, wurden auch die portugiesischen Händler strenger überwacht. Man beschränkte ihren Aufenthalt auf Nagasaki, das zum Zweck der Kontrolle ausländischer Handelsprofite unter direkte zentrale Regierungsgewalt gestellt worden war. Die Holländer dagegen wollten 1637 und 1638 der Zentralregierung sogar bei der Niederschlagung des Shimabara-Bauernaufstandes im nördlichen Kyūshū mit Schiffen und Munitionslieferungen beistehen. Anläßlich dieser vom Shōgunat als christlich beeinflußt verdächtigten Rebellion wurde zum letzten Mal in der Tokugawa-Zeit ein Heer ausgehoben. Als 1639 alle anderen westlichen Nationen aus Japan ausgewiesen wurden, belohnte man die neutrale Haltung der Holländer. In Japan begann eine Periode der selbstauferlegten nationalen Isolierung (), die bis zur erzwungenen Öffnung des Landes im Jahre 1854 dauern sollte.

Dejima

Um die portugiesischen Händler genau überwachen zu können, wurde in der Bucht von Nagasaki zwischen 1634 und 1636 eine künstliche Insel, Dejima („aufgeschüttete Insel“), gebaut. Die Mittel dafür kamen von 25 japanischen Händlern. Die Insel, ungefähr 80×100 m, war fächerförmig angelegt und durch eine Brücke, auf der Wachhäuschen standen, mit der Stadt verbunden. Die Portugiesen wurden gezwungen, sich dort niederzulassen; sie blieben aber nur bis 1639, als das Verbot in Kraft trat, Kontakte mit Fremden zu pflegen. Mit Portugiesen verheiratete Japanerinnen mußten ebenfalls nach Macao gehen; Japanern war es nicht mehr erlaubt, das Land zu verlassen. Die Holländer, die ihre Frauen oder sonstige Lebensgefährtinnen nicht nach Japan mitbringen durften, bezogen Dejima 1641, als ihre Niederlassung auf Hirado trotz der gerade neu erbauten Lagerhäuser zerstört wurde. Das Amt des Obmanns der Händler (Opperhoofd) war schon vorher auf ein Jahr begrenzt worden.

Es wurden viele neue Beschränkungen eingeführt, so daß die Holländer trotz des Handelsmonopols nicht immer in dem Ausmaß, wie sie es gern gewollt hätten, von ihrer Sonderstellung Gebrauch machen konnten. Darüber hinaus hatten auch die Chinesen eine Handelszulassung und stellten eine Konkurrenz dar. So durften die Holländer zum Beispiel die Insel ohne Sonderbewilligung nicht verlassen und überdies mußten sie 5500 tael (= 19.530 Gulden) für das Recht, dort leben zu dürfen, entrichten, ganz abgesehen von den laufenden Kosten für den Unterhalt der Gebäude. Unverkaufte Waren konnten nicht gelagert, sondern mußten nach Batavia gebracht werden. Generell wurde der Handel von Dolmetschern überwacht; das waren Japaner, welche die Kommunikationswege monopolisierten und, wie andere Japaner auch, als Spitzel () für die Regierung arbeiteten. Importierte Seide zum Beispiel mußte fortan als Partie zu einem jedesmal festgesetzten Preis verkauft werden. Auch die Exporte waren zusätzlichen Kontrollen unterworfen; Nahrungsmittel konnten nur geladen werden, soweit sie für die Reise nötig waren, während ungeprägtes Gold, Goldgegenstände sowie Schautafeln und Darstellungen mit geographischen Informationen oder Darstellungen von Waffen nicht zur Ausfuhr freigegeben waren. Die Holländer hatten allerdings immer noch die äußerst einträgliche Bengaliseide, die etwas weniger gewinnbringende Abart aus Tongkin und Häute aus Siam anzubieten. In geringerem Umfang wurden auch Textilien von der indischen Koromandelküste, aus Bengalen und aus den Niederlanden sowie Gewürze verkauft. Von den Japanern kauften die Holländer hauptsächlich Gold, Silber und Kupfer; aber auch Fertigprodukte in geringerer Anzahl, wie etwa das neue Imari-Porzellan, wurden interessant, besonders, als sich die Bedingungen im Chinahandel der Übergangszeit von der Ming- zur Qingdynastie verschlechterten. Jedesmal wenn ein Schiff ankam, wurde es durchsucht und alle Geschütze, das Schießpulver und die Munition mußten für die Dauer des Aufenthalts abgegeben werden. Die Segel wurden eingezogen und das Steuerruder bis zum vorgesehenen Abreisedatum beschlagnahmt. Christliche Literatur war selbstverständlich verboten und wurde während des Aufenthalts des vor Anker liegenden Schiffs ebenfalls konfiziert. Die Einfuhr westlicher Literatur wurde in jeder Weise behindert, da sie ganz allgemein mit christlicher Ideologie in Verbindung gebracht wurde.

Im Jahre 1668 machten neue Probleme Japan noch unattraktiver für die VOC: Silber durfte überhaupt nicht mehr und Gold nur noch in Form von Goldmünzen () außerhalb des Landes gebracht werden. Noch schlimmer wurde es, als 1688 der Goldgehalt der gemindert wurde, sie jedoch zum alten Wert eingetauscht werden mußten. Bis dahin war die holländische Handelsniederlassung bei weitem die gewinnträchtigste in Asien. Um 1640 hatte der Handel bereits einen Umfang von ungefähr vier Millionen Gulden erreicht. Die Gewinnspannen waren extrem hoch: Von 1641 bis 1689 lagen sie über 50%. Auch als im Jahre 1720 die Gesellschaft bei einer weiteren Änderung des Goldgehaltes noch einmal 39% einbüßte, blieb der Handel immer noch einträglich genug, um fortgesetzt zu werden. Kupfer blieb der Hauptexportartikel, während Lackarbeiten, Porzellan und Tee in bedeutend geringeren Mengen ausgeführt wurden. Bei den Waren der Zeit um 1700, als der Handel mit japanischen Handwerksprodukten in vormoderner Zeit seinen Höhepunkt erreichte, handelte es sich meist um Lackarbeiten und zum Teil auch um Porzellangegenstände, die in holländischem Auftrag hergestellt worden waren. Dieser Handel ließ nach, als chinesisches Porzellan wieder zu niedrigeren Preisen erhältlich und die Handelsbilanz nicht mehr so günstig für die Holländer war. Dies war besonders 1720 der Fall. Im späten 17. Jahrhundert wurde der Handel mit Festpreisen eingeführt, wobei die Gouverneure von Nagasaki die Preise kontrollierten. Dabei muß festgehalten werden, daß für die Holländer der Verkauf von Waren in Japan niemals die Bedeutung hatte, die dem Verkauf von japanischem Gold und Kupfer in Indien zukam. 1685 wurde diese Besteuerung (taxatie) zugunsten des freien Handels mit allen Waren aufgehoben außer für Seide, für die weiterhin Restriktionen bestehenblieben.

Der sogenannte freie Handel bedeutete nur, daß größere Freiheiten im Angebot der zu verhandelnden Waren bestanden. Beschränkungen des Gesamtwerts der Waren blieben in Kraft. Ebenso hatte ein Drittel der Ladung aus Seide zu bestehen, und der Gesamtwert durfte 300.000 tael (10,5 Tonnen Gold) nicht überschreiten. Dennoch hatten die Holländer erst 1743 zum erstenmal einen Verlust im Japanhandel zu verzeichnen. Für die VOC und ihre Angestellten gab es zwei Arten von Handel: den offiziellen und den inoffiziellen. Das heißt, daß die offiziellen Geschäfte von der Gesellschaft wahrgenommen und die Waren an Großhändler geliefert wurden, während nicht registrierte oder geschmuggelte Güter in den Händen der Angestellten blieben und an kleinere Händler veräußert wurden. Dieser Privathandel () war eigentlich sowohl von der Gesellschaft als auch von den Japanern her verboten, wurde aber überall, wo die VOC Handel trieb, praktiziert. Man hielt ihn vor der Direktion in Holland geheim, er wurde aber von den Gouverneuren in Nagasaki als ein Gewohnheitsrecht akzeptiert und konnte daher mit einer Importsteuer von 35% belegt werden. Die Obergrenze lag bei 40.000 tael oder 140.000 Gulden. Der private Handel wurde daher, obwohl offiziell verboten, durch die Hinnahme der japanischen Behörden halb offiziell. Der „Kambang“-Handel bestand bis 1835, außer für die Jahre 1826 und 1830. Nach 1835 wurde diese Art von Handelstätigkeit an Privatgesellschaften vergeben. Bis 1807 gelang es den Holländern gerade noch, ein Schiff pro Jahr nach Japan zu entsenden, während es bis 1674 mindestens vier, danach durchschnittlich zwei Schiffe pro Jahr gewesen waren.

Der stetige Niedergang wird auch deutlich, wenn man die Schiffstonnage in Rechnung stellt. Von 1808 bis 1814 kamen aus Batavia kaum Schiffe an, da dieses von den Engländern besetzt war, welche sich mit den profranzösischen Niederlanden im Krieg befanden.

Der regelmäßige Handel zwischen den Niederlanden und Holländisch-Ostindien wurde 1815, nach der Befreiung Hollands von den Franzosen, wieder aufgenommen. Der Japanhandel sollte nun erklärtermaßen ausschließlich in der Hand der Regierung liegen. Der Handel nach Japan war aber, zum Teil wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Hollands, noch immer auf relativ geringe Mengen an Textilien, Gewürzen, Büchern und wissenschaftlichen Instrumenten beschränkt, während die holländischen Schiffe in der Bucht von Nagasaki wieder Kupfer und Kampfer luden. Schon seit 1796 lag der Japanhandel in der Zuständigkeit der ostindischen Kolonialregierung.

Auch noch nach der Gründung der „Nederlandsche Handel-Maatschappij“ durch König Willem I. im Jahre 1824 benutzten die Holländer bei ihren Verhandlungen mit den Japanern stets den Stempel der VOC, um die Behörden dort nicht zu verwirren. Die neue Gesellschaft übernahm den gesamten Außenhandel in Asien. Die Japaner wurden auf die sich verändernde Weltlage allmählich aufmerksam, als auch andere Nationen wie Rußland, die Vereinigten Staaten und England Interesse an einer verstärkten Einflußnahme in der Region zeigten. Aber auch 1844, als König Willem II. einen warnenden, wenn auch freundlichen, Brief an den Shōgun sandte mit der Forderung nach Öffnung des Landes für den Handel, war die – ebenfalls freundliche – Antwort noch immer abschlägig. Die 16 Wandschirme mit Malereien im Kanō-Stil, die sich heute im Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden befinden, sind ein Teil dieser Erwiderung.

Das Leben der Holländer auf Dejima

Wenn ein Schiff in der Bucht von Nagasaki einlief, durfte es nicht bei Dejima festmachen, sondern mußte in einiger Entfernung vor Anker gehen. Das Löschen des Schiffes und alle Beförderungen zum Hafen von Nagasaki und nach Dejima gingen daraufhin unter Bewachung und mit kleinen Booten vonstatten. Im Grunde genommen waren die Holländer freiwillige Gefangene auf der kleinen künstlichen Insel von Dejima. Auch durften sie die Insel nur mit spezieller Bewilligung verlassen. Tagsüber wurden die Holländer, von denen kaum jemals mehr als zwanzig anwesend waren, von japanischen Beamten überwacht. Alle Kontakte gingen über die Dolmetscher, deren Amt oft erblich war und von denen manche nur über sehr mäßige Kenntnisse des gesprochenen Holländisch verfügten. Außerdem fühlten sich die Angestellten der VOC während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes nicht gerade ermutigt, Japanisch zu lernen. Die Holländer mußten für diese Dienste bezahlen, obwohl sie oft genug unzufrieden mit ihnen waren. Auch andere Leistungen, wie etwa die Versorgung mit Trinkwasser und die Erstellung von Unterkünften, mußten von den Holländern bezahlt werden. Dabei muß bedacht werden, daß die Holländer, obschon sie als Vertreter der Regierung mit speziellem Status auftraten, eben doch nur als Händler angesehen wurden; und Händlern – nicht-produktiven Mitgliedern der Gesellschaft – kam in der konfuzianischen Ideologie der Tokugawa-Zeit nur der unterste Rang unter allen Gemeinen zu – unterhalb der Samurai, Bauern und Handwerker.

Viele Holländer, die auf Dejima stationiert waren, betrachteten den Aufenthaltsort als ein Gefängnis und klagten über Langeweile. Auf der anderen Seite zeigten die Japaner Verständnis für ihre mißliche Lage und gestatteten ihnen ab und zu – allerdings kostspielige – Besuche im Rotlichtviertel von Maruyama, wo eigens für sie abgestellte Prostituierte ( – „diejenigen, die zu den Holländern gehen“) ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen sollten. Im Jahre 1642 wurde beschlossen, daß diese Prostituierten die Insel besuchen, später sogar, daß sie für einige Tage hintereinander bleiben durften. Manche Holländer, besonders solche, die für längere Zeit dort stationiert waren, gingen festere Verhältnisse mit einigen von diesen Frauen ein, die sie als ihre zeitweiligen Ehefrauen ansahen. Kinder aus solchen Verbindungen blieben allerdings Japaner und waren daher, sobald sie entwöhnt waren, den japanischen Gesetzen vom Umgang mit Fremden unterworfen. Sie mußten auch in Japan bleiben, wenn ihre Väter das Land verließen. Einige Angestellte der VOC und der holländischen Regierung Ostindiens, hauptsächlich Gelehrte und Wissenschaftler wie Engelbert Kaempfer (1651–1716, auf Dejima zwischen 1690 und 1692), der schwedische Botaniker Carl Peter Thunberg (1743–1828, auf Dejima 1775 und 1776), der holländische Gelehrte Isaac Titsingh (1745–1812, von 1779 bis 1684 auf Dejima) und Philipp Franz v. Siebold (1796–1866, von 1823 bis 1829 auf Dejima) versuchten das Beste aus ihrem Aufenthalt zu machen, indem sie sich gewisse Privilegien verschafften, um über dieses weithin unbekannte Land zu schreiben. Manche von ihnen waren bestrebt, wissenschaftliches Material zu sammeln, um es in Europa vorzulegen. Ein tragisches Beispiel ist der Opperhoofd Hendrik Doeff (1777–1835, auf Dejima zwischen 1799 und 1817), der fast sein ganzes Material auf dem Rückweg von Japan verlor. Dank seines erzwungenermaßen langen Aufenthalts, muß er fließend Japanisch gesprochen haben und war tatsächlich dabei, ein holländisch-japanisches Wörterbuch zu verfassen. Kopien dieses Manuskripts, die auf Dejima zurückgeblieben waren, wurden von anderen – Japanern und Holländern – benutzt, um ein solches Wörterbuch auf der Grundlage des französisch-holländischen Wörterbuchs von François Halma, Woordenboek der Nederduitse en Fransche Taalen (1708) zu erstellen. Das Werk ist unter dem Namen (1815–1816) bekannt; zu unterscheiden von dem ähnlichen, früher (1796) veröffentlichten 27-bändigen Werk von Inamura Sanpaku. Besonders Siebold gelang es, die Behörden davon zu überzeugen, ihm das Verlassen der Insel zum Studium und zum Praktizieren der Medizin in Nagasaki und Umgebung zu gestatten. Schließlich konnte er sogar in einem bescheidenen Gebäude, „Narutaki juku“ genannt, das an einem Abhang außerhalb der Stadt eigens zu diesem Zweck gebaut worden war, Unterricht abhalten.

Die Reise zum Hof

Der Opperhoofd hatte die Aufgabe, Berichte aus Batavia zu sammeln und die Dolmetscher über die Lage in der Welt zu informieren. Auf diesem Weg wurden die Behörden in Edo über die Ereignisse auf dem Laufenden gehalten. Bis 1790 war der Opperhoofd verpflichtet, einmal im Jahr an den Hof des Shōgun in Edo (Edo sanpu) zu reisen. Bis 1649 durfte er nur einen Sekretär oder einen Schreiber mitnehmen, später wurde die Gruppe auf drei Personen erweitert. Dies aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Arzt der Gesellschaft, Caspar Schamberger, der sich von 1649 bis 1651 in Japan aufhielt. Der Arzt, oft die einzige in wissenschaftlichen Belangen versierte Person, konnte vor der Gesellschaft am Hof des Shōgun als Informant über die Entwicklungen im Westen auftreten. Daher hatte er dem Shōgunat gegenüber eine wichtige Stellung inne, und die anderen Holländer hatten zurückzustehen. Die Reise zum Hof ging über Land von Nagasaki quer durch Kyūshū, dann auf dem Meer nach Shimonoseki am westlichsten Ende von Honshū. Von da ging es wieder über Land, auf dem letzten Teil über die Große Östliche Straße (Tōkaidō) zwischen Kyōto und Edo. Die ganze Reise dauerte etwa 90 Tage. Der Opperhoofd erhielt den Status eines ; den Holländern wurden, sooft sie in einer Stadt Halt machten, die größten Ehren zuteil und sie erhielten die allerbesten Quartiere. Seit der Einsetzung der ersten Tokugawa-Shōgune waren alle gezwungen, diese anstrengende Reise zu unternehmen, und obendrein noch, ein Familienmitglied als Geisel in Edo zurückzulassen. In Edo angekommen, wurden die Holländer zwei oder drei Wochen lang in einem eigens für sie bestimmten Haus, „Nagasakiya“ genannt, untergebracht, wo sie von allen möglichen Gelehrten – oder auch einfach von neugierigen Leuten, die sich für den Westen interessierten – besucht werden konnten. Die Holländer waren von einem großen Gefolge von mehreren hundert Menschen begleitet, die von der VOC bezahlt werden mußten, und es wurden spezielle Geschenke als Tribut für den Shōgun mitgeführt. Dieser Tribut umfaßte sowohl wichtige wissenschaftliche Gegenstände wie Bücher, meist auf Holländisch verfaßt, Fernrohre, Astrolabien und Barometer als auch exotische Tiere wie Kamele, Affen und Vögel aus Neuguinea. Die Reise zum Hof kam die Holländer natürlich sehr teuer zu stehen. Als der Handel zurückging, sahen die Japaner ein, daß sie für die Holländer gewissermaßen zur finanziellen Prüfung wurde, und verlängerten die Abstände zwischen den Reisen auf jeweils vier Jahre. Die Geschenke weckten das Interesse der japanischen Behörden und so verlangten sie jedesmal noch mehr wissenschaftliche Werke und Informationen, neben den speziellen Wünschen, die dem Opperhoofd in den sogenannten Forderungen vorgelegt wurden. Das Streben nach Wissen führte schließlich im späten 18. Jahrhundert zur Bildung von Hollandologie-()-Zirkeln.

Rangaku und holländische Gelehrte

Während die Bedeutung des holländischen Handels nachließ, nahmen die Kenntnisse über den Westen und dessen Errungenschaften, insbesondere über Holland, in der zweiten Hälfte der Abschließungs-()-Periode zu. Entgegen allgemeiner Annahme war in den ersten achtzig Jahren der selbstauferlegten Isolation der Gebrauch von westlichen Büchern trotz ihrer möglicherweise christlichen Themen nicht gänzlich verboten. Wohl vermieden es japanische Gelehrte, zuzugeben, Kenntnisse über westliche Schriften und in westlichen Sprachen zu haben, da sie befürchteten, Argwohn zu erregen. Außerdem waren westliche Bücher äußerst selten und wurden nur gelegentlich eingeführt. Obwohl die holländischen Klagen über die Qualität der japanischen Dolmetscher wahrscheinlich gerechtfertigt waren, so muß doch berücksichtigt werden, daß in den ersten Jahren keine zuverlässigen Lehr- oder Wörterbücher vorhanden waren. Am Anfang wurde alles ins Portugiesische, vor 1641 die „lingua franca“ des Fernen Ostens, übersetzt. Zuerst bemühten sich nur die Dolmetscher von Nagasaki um die holländische Sprache, da jede Begeisterung für fremdes Wissen in der frühen Edo-Zeit Mißtrauen hervorgerufen haben mußte. Der erste Versuch, Holländisch systematisch, und nicht nur über das Gehör, zu lernen, scheint auf das Jahr 1671 zurückzugehen, als die Gouverneure von Nagasaki () anordneten, daß eine Anzahl junger Männer täglich nach Dejima geschickt werden sollte, damit sie dort Holländisch lernten. Im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts benutzten die Dolmetscher die holländische Schriftsprache und lasen eifrig holländische Bücher, sooft sie ihrer habhaft werden konnten.

Der erste systematische Import wissenschaftlicher Erkenntnisse geschah auf dem Gebiet der Medizin, als 1650 sowohl in Nagasaki als auch in Edo japanischen Gelehrten erlaubt wurde, bei Caspar Schamberger zu studieren. Diese Ärzte nannten sich selbst die , die Caspar-Schule, und sie blieben noch lange Zeit unter diesem Namen bekannt. Bald wurde von japanischen Gelehrten jede Gelegenheit wahrgenommen, mit holländischen Ärzten, die auf dem Weg von Dejima nach Edo oder zur Audienz mit dem Shōgun in Edo selbst waren, in Kontakt zu kommen. Bei diesen frühen wissenschaftlichen Kontakten ging es hauptsächlich um Medizin, Pharmakologie und Astronomie. Mit der Zeit wurden auch andere Wissenschaftszweige wie Physik, Chemie, Geographie, Zoologie, Botanik und viele technische Fächer wie Schiffsbau, Festungsbauwesen und Waffenkunde Gegenstand japanischen Interesses. In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts entstanden viele -Zirkel außerhalb von Nagasaki. Ebenso begannen, angeregt durch den Import illustrierter Bücher, Künstler wie Shiba Kōkan (1747–1818) mit europäischen Mal-, Zeichen- und Drucktechniken zu experimentieren. Holländische Bücher waren in den -Zirkeln geschätzte Gegenstände; viele Werke wurden kopiert und ins Japanische übersetzt. Ironischerweise nahm der Austausch zwischen holländischen und japanischen Gelehrten gerade in der Zeit zu, als die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern zurückgingen. Besonders seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als die europäische Aufklärung Forschungen in bisher unbekannten Gebieten begünstigte, versuchten die von der VOC und der holländischen Ostindiengesellschaft angestellten Gelehrten, Informationen über Japans Eigenart und Gesellschaft im Tausch für Bücher und Unterricht zu sammeln.

Der Übergang zu modernen Handels­beziehungen

Selbstverständlich kam es zu großen Veränderungen, als 1854 Japan gezwungen wurde, das Land dem Handel mit der Außenwelt zu öffnen. Ein Jahr später schlug Jan Hendrik Donker Curtius (1813–1879), Direktor auf Dejima seit 1852, der holländischen Regierung vor, ein Dampfschiff (später unter dem Namen registriert) als Geschenk nach Japan zu schicken, um den Japanern zu helfen, ihre Abwehr zu modernisieren. Zwei Jahre danach wurde ein zweites Schiff, die , nach Japan übergeführt. Auch in den ersten Jahren nach der Öffnung Japans blieb Holländisch die erste westliche Sprache, doch erkannten die Japaner allmählich, daß die Niederlande nur ein vergleichsweise unbedeutendes Land in der Weltarena waren. Die Holländer halfen den Japanern, die Seestreitkräfte zu modernisieren und schickten Naturwissenschaftler und Mediziner nach Japan. Am bekanntesten war Johannes Pompe van Meerdervoort (1829–1908), der 1857 nach Nagasaki kam, um dort Medizin zu lehren. Auf sein Betreiben hin wurde schließlich Japans erstes modernes Krankenhaus und die erste Ärzteschule nach westlichem Muster, die , gegründet. Im Jahr darauf kehrte er nach Holland zurück, wo er Japaner unterstützte, die dort studierten. Viele japanische Studenten wurden in diesen Jahren, als Holländisch noch immer die wichtigste westliche Sprache in Japan war, zum Studium in die Niederlande geschickt. Dennoch dauerte es bis 1858, zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Regierungen, bis alle Beschränkungen, welche die Anzahl der Schiffe und das Handelsvolumen betrafen, aufgehoben wurden. In den Jahren vor der Meiji-Restauration von 1868 nahm der Handel im Gefolge der Liberalisierungspolitik der japanischen Regierung schnell zu.

Der freie Handel setzte sich in der ganzen Welt durch. Japan war auch Nutznießer der Taiping-Rebellion in China (1850–1864), welche die chinesischen Exporte zum Erliegen brachte. Der Tauschwert des japanischen Yen gab nach und die Exporte von Produkten wie Baumwollgarn, Seife und Streichhölzern in andere asiatische Länder nahmen dank Japans modernisierter Industrie zu. Wegen der ungleichen Vetragsbedingungen mit den westlichen Ländern, die es ihm zum Beispiel unmöglich machten, die Preise selbst zu bestimmen, konnte Japan den eigenen Markt nicht vor ausländischen Produkten schützen, so daß die heimische Industrie gezwungen war, mit den Importen zu konkurrieren. Dies wiederum führte im frühen 20. Jahrhundert zu vermehrten Anstrengungen bei der Entwicklung von Produktionstechniken. Japans schnelle Anpassung an den Weltmarkt kann zum Teil intellektueller Wendigkeit und Neugier zugeschrieben werden, sicherlich aber auch der, zugegebenermaßen eingeschränkten, Auseinandersetzung der -Anhänger der späten Edo-Zeit mit westlichem Wissen.

Literatur

Ken Vos:
Dejima und die Handelsbeziehungen zwischen den Niederlanden und dem vormodernen Japan.
S. 72–82 in:
Doris Croissant, Lothar Ledderose (Hg.):
Japan und Europa 1543–1929.
Eine Ausstellung der „43. Berliner Festwochen“ im Martin-Gropius-Bau Berlin. Berlin : Argon 1993.
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